Nichtwissen: eine systemische Grundhaltung!

Die Haltung des Nichtwissens ist eine Grundhaltung in der systemischen Beratung. Was aber steckt genau dahinter? Was verstehe ich darunter? Nicht nur in der Beratung hilft mir das Nichtwissen – auch im Alltag genieße ich es, nicht immer alles wissen zu müssen.

Angeregt zu diesem Artikel hat mich meine 12-Wochen-Buddyine und Blogkollegin Susanne Wagner von atemsinn.ch, die eine Blogparade rund um das Thema Nichtwissen gestartet hat.

Die Haltung des Nichtwissens in der systemischen Beratung

Kennst du das? Du bist in einem Gespräch und jemand erzählt dir, was er oder sie erlebt hat. Du hörst nur halbherzig zu, denn in deinem Kopf gibt es Stimmen, die dir sagen: „Ach ja, das kenn’ ich!“ oder „Hab ich auch schon erlebt!“ Möglicherweise hast du etwas Ähnliches tatsächlich schon erlebt, aber wie gut kannst du wohl die Details beurteilen?

In der systemischen Beratung und im Coaching ist es immer wieder eine große Herausforderung, genau diese Stimmen stumm zu schalten und neugierig zu bleiben. Die Grundannahme dabei ist, dass mein Gegenüber immer Expert:in für sich selbst bleibt.

Natürlich bin auch ich nicht frei davon, auf Basis des Gehörten Hypothesen zu bilden, warum die Dinge so sind, wie sie sind, wozu das gut sein könnte und was man ändern könnte. Das ist vollkommen natürlich, denn wir Menschen gleichen das Gehörte mit unseren eigenen Erfahrungen und Werten ab.

Steve de Shazer hat es einmal so formuliert:

Wer eine Hypothese hat, soll zwei Aspirin nehmen, sich in eine Ecke setzen und warten, bis der Anfall vorbei ist.

(Steve de Shazer)

Wenn ich die nicht-wissende Haltung einnehme, so verstehe ich darunter, aufmerksam und aktiv zuzuhören, neugierig zu bleiben und offene Fragen zu stellen, ohne das Gehörte zu werten. In der Regel zieht mein Gegenüber dann sehr schnell selbst die für sich passenden Schlüsse und erkennt Lösungen und Chancen.

Ich kenne viele Coaches, die ihren Klienten sehr schnell ihre eigene Meinung und ihre eigenen Lösungsvorschläge überstülpen. Das finde ich zum Teil wirklich äußerst übergriffig. Wo bleibt da die Selbstbestimmung und die Selbstwirksamkeit der Ratsuchenden?

In meiner Erfahrung sind Lösungsstrategien viel nachhaltiger und passender, wenn man sie sich selbst erarbeitet hat. Dann passen sie zur aktuellen Lebenssituation, den eigenen Werten und Umständen.

Nichtwissen im Alltag

Damals, in der Zeit, in der es noch keine Smartphones gab, habe ich es geliebt, einfach herum zu philosophieren. Warum sind die Dinge wohl so wie sie sind? Wie ist wohl gerade das Wetter in Afrika? Woher kommt wohl die Redewendung „den Löffel abgeben“ und warum heißt der Auflauf „Auflauf“? Heutzutage wird bei jeder Fragestellung oft sofort das Handy gezückt: Wikipedia, Google, ChatGPT & Co haben die Antwort. Das eigene Gehirn, die eigene Fantasie werden nicht mehr in Anspruch genommen. Ich finde das unfassbar schade, denn auch Gespräche werden damit schnell beendet. Lasst uns lieber immer mal ein paar Hypothesen aufstellen und diese diskutieren und von allen Seite betrachten.

Im Alltag gibt es tatsächlich auch viele Dinge, die ich lieber nicht wissen möchte. Warum? Weil ich mich dann damit nicht beschäftigen muss. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Das ist der Grund, warum ich z.B. keine Nachrichten mehr schaue. Mich interessiert auch nicht, welche Serie gerade auf Netflix läuft oder wie die Ergebnisse im Fußball sind. Viel lieber genieße ich das Hier und Jetzt und achte auf die kleinen Dinge im Leben.

Das Wichtigste bekomme ich trotzdem mit: durch Social Media oder aus Gesprächen mit anderen. Wenn es dann für mich doch relevant ist, dann recherchiere ich, denn dann will ich es auch genauer wissen. Aber ich muss nicht zu allem Bescheid wissen.

Wissen, Nichtwissen, Nicht-Besser-Wissen

Noch ein Aspekt, der mir bei diesem Thema unfassbar wichtig ist: für mich gibt es verschiedene Eben des Wissens:

  • Wissen: All das, was mal gelernt wurde – aus Büchern, aus Erfahrungen, aus dem Umfeld.
  • Nichtwissen: Völlige Ahnungslosigkeit oder eben zumindest die Annahme, dass ich nicht die Gedanken und Gefühle meines Gegenübers im Detail kennen kann, bevor dieser sie nicht preisgibt. Auch nicht, wenn ich vielleicht in einer ähnlichen Situation bin oder war.
  • Nicht-Besser-Wissen: Das heißt, ich habe durchaus Wissen zu dem Thema. Wissen und eine eigene Meinung. Diese stülpe ich aber niemandem einfach so über. Es gibt Menschen, die meinen, zu jedem Thema etwas sagen zu müssen. Ich finde es jedoch übergriffig, wenn dieses eigene Wissen als die eine Wahrheit hingestellt wird. Denn wie sagte Paul Watzlawick so schön:

Der Glaube, es gebe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste Selbsttäuschung.

(Paul Watzlawick)

Mit einer nicht-wissenden Haltung gibt es immer wieder Neues zu entdecken: neue Wahrheiten und neue Sichtweisen.

Mein Appell an dich lautet daher: bleib neugierig!


Wie gehst du mit dem Thema Wissen und Nicht-Wissen um? Teile das gerne in den Kommentaren unter diesem Artikel 👇

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Danielle Berg //Foto: Andrea Schombara

Wer schreibt hier eigentlich?

Als systemische Beraterin (SG) und ich schaff’s-Coach verstehe ich mich als Bindeglied zwischen Eltern, Kindern und Schulen.

Mit meinem lösungsfokussierten Coaching unterstütze ich dich und dein Kind dabei, soziale Kompetenzen zu entwickeln und selbstbewusst heranzuwachsen.

So kannst du mit mir in Kontakt treten und mehr über mich und meine Angebote erfahren:


2 Antworten auf „Nichtwissen: eine systemische Grundhaltung!“

Liebe Danielle
Herzlichen Dank für deinen Beitrag zu meiner Blogparade #NichtWissen! Beim Aspirin-Zitat habe ich schon mal geschmunzelt. Jeden Tag kreuzen x Hypothesen meine Gedanken, würde ich so viel Aspirin schlucken, wäre mein Blut nur noch Wasser.
Wir haben einiges gemeinsam zum Thema Nichtwissen: Auch ich finde, das Nichtwissen ist ein wichtiger Dünger der Fantasie, der uns seit ständiger Suchmaschinenabrufbarkeit verloren gegangen ist. Umso mehr unterstütze ich deinen Appell «Bleib neugierig!»
Ich bin auf jeden Fall neugierig, wie es auf deinem Blog und in deinem Leben weitergeht und freue mich, auch in Zukunft voneinander zu lesen.
Herzlich
Susanne

Liebe Susanne,
grundsätzlich sind Hypothesen ok, solange du sie niemandem als die einzige und richtige Wahrheit überbügelst 😊
Die Gefahr besteht eben, sich in eine Hypothese zu „verlieben“ und dann nicht weiter zu forschen, nicht noch andere Betrachtungsweisen in Erwägung zu ziehen.
Ich freue mich auch auf weitere spannende Beiträge von dir, denn ich hab auf deinem Blog schon tolle und lernenswerte Einblicke bekommen können.
Liebe Grüße
Danielle

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