Die Aufstellung ist eine klassische systemische Methode und sie ist sehr wirkungsvoll, um bestimmte Strukturen und Dynamiken in einem sozialen System sichtbar und ein Stück weit erlebbar zu machen. Aber ich halte es für gefährlich, einzelne Wochenenden oder Gruppen-Workshops anzubieten, in denen Menschen bunt gemischt aufeinander treffen, um mal eben ihre Themen aufzustellen.
Mal ganz davon abgesehen, dass die systemische Beratung soviel mehr umfasst, als „nur“ die Aufstellungsarbeit, erfordert diese Methode meiner Ansicht nach sehr viel Feingefühl und ein äußerst vertrauensvolles Umfeld.
Was ist überhaupt eine Aufstellung?
Bevor ich mich den Gefahren eines Aufstellungs-Wochenendes widme, möchte ich nochmal kurz erklären, was eine systemische Aufstellung überhaupt ist. Wikipedia erklärt es es folgendermaßen:
Systemaufstellung (auch Systemische Aufstellung) bezeichnet ein Verfahren der Systemischen Therapie, in dem aus einer vorhandenen Gruppe Personen oder alternativ Figuren stellvertretend für Mitglieder oder Entitäten (Teile, Aspekte) eines (üblicherweise sozialen) Systems gewählt und in einem realen Raum sodann repräsentativ zueinander in Beziehung (auf-)gestellt werden.
Je nach System wird unterschieden:
- Familiensystem: Familienaufstellung (auch Familienstellen)
- Organisationssystem: Organisationsaufstellung
- abstrahiertes System: (Systemische) Strukturaufstellung.
Bei Systemaufstellungen handelt es sich nicht um Rollenspiele. Primär geht es bei Systemaufstellungen um die Abbildung bzw. das Erkennen von (eventuell dysfunktionalen) Beziehungsstrukturen.
Eine systemische Aufstellung ist eine Methode der systemischen Therapie und Beratung, die entwickelt wurde, um verborgene Dynamiken und Muster in sozialen Systemen sichtbar zu machen. Diese Methode kann auf verschiedene Systeme angewendet werden, wie zum Beispiel Familien, Organisationen, Teams oder anderen sozialen Gruppen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Systemaufstellung
Anders ausgedrückt: In einer systemischen Aufstellung stellt eine Person ihr Anliegen oder Thema dar, indem sie andere Personen oder Elemente, die für das Thema relevant sind, im Raum platziert. Dies können beispielsweise Familienmitglieder, Symbole für Organisationen oder abstrakte Konzepte sein. Durch die Positionierung dieser Elemente im Raum und die Beobachtung ihrer räumlichen Beziehungen zueinander können systemische Muster, Hierarchien, Verbindungen oder Blockaden sichtbar werden.
Ein (möglichst) geschulter Therapeut oder Berater leitet die Aufstellung, indem er Fragen stellt und das System erkundet. Die Teilnehmer können auch in die Rollen der platzierten Elemente schlüpfen, um die Dynamik aus verschiedenen Perspektiven zu erforschen. Durch diese systemische Perspektive können unbewusste oder versteckte Dynamiken im System enthüllt und bearbeitet werden.
Was meine ich mit Aufstellungs-Wochenende?
Ein Aufstellungs-Wochenende ist eine spezielle Form von Veranstaltung oder Workshop, bei dem systemische Aufstellungen als zentrale Methode verwendet werden. Es handelt sich in der Regel um einen zeitlich begrenzten Workshop, der über ein Wochenende hinweg stattfindet und die intensive Arbeit mit individuellen oder systemischen Anliegen ermöglicht.
Während eines Aufstellungs-Wochenendes haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Möglichkeit, eigene persönliche oder berufliche Themen einzubringen und mithilfe der systemischen Aufstellungsarbeit zu bearbeiten. Dabei können verschiedene Formen von Aufstellungen durchgeführt werden, wie beispielsweise Familienaufstellungen, Organisationsaufstellungen oder Strukturaufstellungen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können entweder als Aufstellerinnen und Aufsteller (stellen ihr Thema auf), Stellvertreterinnen und Stellvertreter (werden in eine bestimmte Position als Stellvertreter für Mitglieder des aufgestellten Systems gestellt) oder Beobachterinnen und Beobachter teilnehmen.
Welche Gefahren sehe ich bei einem Aufstellungs-Wochenende?
Ich stehe diesen reinen Aufstellungs-Wochenenden äußerst skeptisch gegenüber. Sowohl aus meiner Beratungspraxis als auch aus den Selbsterfahrungsseminaren, die ich besucht habe, weiß ich, dass durch eine Aufstellung sehr viele Emotionen und Gedanken freigesetzt werden. Selbst, wenn man „nur“ als Stellvertreter in eine Rolle schlüpft, kann das viele ungeahnte Emotionen freisetzen. Wichtig ist es, aus dieser Rolle auch wieder herauszukommen und sie nicht in den Alltag mitzunehmen. Ich selbst hatte in einem Weiterbildungsseminar nach einem eigentlich gespielten – und daher scheinbar unrealistischen – Fall einmal das Erlebnis, dass ich noch mehrere Tage in der Rolle festhing, weil ich offenbar doch tiefer hineingerutscht war als geplant.
Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass die eigentlichen Veränderungen und Erkenntnisse der Klientinnen und Klienten meist zwischen den Sitzungen stattfinden. Es ist daher aus meiner Sicht unabdingbar, Menschen nach einer Aufstellung weiterhin zu begleiten – sowohl die Personen, die ein Thema einbringen als auch die Personen, die sich als Stellvertreter zur Verfügung stellen.
Folgende Gefahren sehe daher ich bei einem reinen Aufstellungs-Wochenende:
- Oberflächliche Arbeit: Die Begrenzung von Zeit und Raum kann dazu führen, dass die Aufstellungsarbeit oberflächlich bleibt und wichtige Aspekte unberücksichtigt bleiben.
- Überforderung: Die intensive Arbeit an einem Wochenende kann zu emotionaler Überforderung führen, ohne genügend Zeit, um sich zu erholen und zu verarbeiten.
- Mangelnde Integration: Eine Aufstellung kann tiefgreifende Erkenntnisse und Erfahrungen hervorbringen, die Zeit benötigen, um verarbeitet und integriert zu werden. Ein Wochenende reicht oft nicht aus, um dies zu ermöglichen. Aus meiner Sicht müssen die Klientinnen und Klienten an so eine Aufstellung herangeführt werden.
- Fehlende Nachbetreuung: Ein Wochenende kann nicht die gleiche Unterstützung und Nachbetreuung bieten wie ein längeres Format. Das gilt für die Nachbetreuung und Weiterbegleitung der Veränderungsprozesse und die Vertreterinnen und Vertreter gleichermaßen.
- Mangelnde Individualisierung: Jede Klientin, jeder Klient hat ihre/seine eigene Geschichte, Hintergründe und Bedürfnisse, die berücksichtigt werden müssen. Ein Wochenende kann nicht genügend Zeit bieten, um individuell auf jeden Klienten einzugehen.
- Gruppendynamik: Eine Aufstellung in einer Gruppe kann sehr kraftvoll sein, aber auch Herausforderungen mit sich bringen. Eine Gruppe benötigt Zeit, um sich zu bilden, zu vertrauen und sicher zu fühlen. Ein Wochenende kann oft nicht genügend Zeit bieten, um eine stabile und vertrauensvolle Gruppendynamik zu entwickeln.
- Missbrauch von Macht: Im schlimmsten Fall kann die Begrenzung von Zeit und Raum dazu führen, dass Therapeutinnen / Therapeuten ihre Macht missbrauchen und Entscheidungen treffen, die nicht im besten Interesse des Klienten liegen.
Es ist aus meiner Sicht wichtig, dass jede Form von Therapie oder Coaching ausreichend Zeit und Ressourcen zur Verfügung hat, um effektiv zu sein. Kurze Wochenenden können vielleicht einen ersten kurzen Einblick geben, aber sie sollten nicht als vollständiger Ersatz für eine ausführliche systemische Beratung betrachtet werden!
Aufstellungsarbeit bedarf einer großen Sorgfalt und Professionalität und sollte zudem in den notwendigen Zeitrahmen durchgeführt wird, um sicherzustellen, dass die Arbeit effektiv und sicher ist.
Ich bin überzeugt, dass ein Wochenende nicht ausreicht!
Die Beratungen mit meinen Klientinnen und Klienten sind immer sehr individuell und wir nehmen uns die Zeit, die benötigt wird, um Ressourcen aufzuspüren und mögliche Lösungen zu erarbeiten. Mir ist es wichtig, dass wir zuerst Vertrauen aufbauen und dass meine Klientinnen und Klienten sich wohl fühlen.
Möglicherweise ist im Rahmen eines Prozesse eine Aufstellung hilfreich, um bestimmte Muster und Dynamiken zu erkennen. Wenn ich das Gefühl habe, dass eine Aufstellung sinnvoll ist, dann schlage ich das möglicherweise vor, lasse aber die Entscheidung über den Einsatz bei meinem Gegenüber. Ich würde meine Klientinnen und Klienten nie zu irgendeiner Methode drängen.
Eine intensive Begleitung/Nachbereitung ist für mich sowieso selbstverständlich, denn mein persönlicher Anspruch ist es, den meinen Klientinnen und Klienten nachhaltige Unterstützung anzubieten
Außerdem bin ich der Meinung, dass die systemische Beratung viel mehr Methoden und Haltungen bietet, als die reine Aufstellung. Deshalb habe ich dazu einen ganz eigenen Artikel verfasst. Ich finde, das Anliegen, die Methode und die Menschen müssen zueinander passen, damit die Beratungsprozesse erfolgreich werden können.
Du möchtest herausfinden, welche Methoden für dein Anliegen geeignet sind? Du suchst eine Beratung mit genügend Zeit und Raum für deine individuellen Herausforderungen?