Ob es um die Erziehung der Kinder, persönliche Entscheidungen oder berufliche Herausforderungen geht – ungefragter Rat und vorschnelle Wertungen scheinen allgegenwertig zu sein. Mich triggert es total, wenn mir jemand seine Meinung einfach überstülpen möchte ohne zu hinterfragen, ob ich das überhaupt möchte.
In diesem Artikel teile ich mit dir meine Sicht der Dinge, warum mich dieses Überstülpen so triggert und warum ich in meinen Beratungen nicht mit vorgefertigten Lösungen um die Ecke komme.
Warum ungefragte Ratschläge oft mehr nerven als helfen
Kennst du diese Situationen, in denen du vor einer Herausforderung stehst und dein Umfeld dir ungefragt die vermeintlich besten Ratschläge gibt? Ich habe das erlebt im Umfeld als Mutter: „Dein Kind braucht einen Schnuller!“, „Dein Kind sollte unbedingt ein Musikinstrument lernen. Das fördert seine kognitive Entwicklung.“, aber auch in anderen Kontexten: „Du solltest diese Diät ausprobieren, um Gewicht zu verlieren.“, „Du musst das genau so machen, denn das ist der einzig wahre Weg.“
Es ist erstaunlich, wie viele Menschen oft zu wissen scheinen, was zu tun ist, wie man es besser machen könnte ohne deine genaue Situation zu kennen. Sie scheinen auch immer klar einschätzen zu können, was richtig und was falsch ist.
Mir geht das tierisch auf den Keks! Mir gibt es oft das Gefühl, ich könnte wohl nicht selber denken! Haben die anderen denn die Weisheit mir Löffeln gefressen? Kennen sie diese Situation? Kennen sie die Hintergründe?
Auch im Coaching und Beratungsumfeld sind gut gemeinte Ratschläge nicht unüblich. Allzu oft bilden sich die Beratenden vorschnell ein Meinung zu den Anliegen der Ratsuchenden und haben direkt eine Lösung parat.
Versteh mich nicht falsch – natürlich kommen die die Menschen in eine Beratung, um eine Lösung für ihre Anliegen zu finden. Nach meiner Meinung kann eine Lösung aber eben nicht von oben herab erfolgen, sondern es Bedarf immer einer individuellen Betrachtung der jeweiligen Situation.
Warum ich mich als systemische Beraterin mit Ratschlägen und vorschneller Wertung zurückhalte
Es ist für mich eine Frage des Respekts, die Meinung der anderen Person ernst zu nehmen und deren individuelle Situation zu berücksichtigen. Statt mir vorschnell eine Meinung zu bilden, versuche ich lieber, die Zusammenhänge zu verstehen. Warum könnte eine Person so handeln wie sie es tut. Was könnte gut an der vermeintlich schlechten Situation sein? Wann trat das „Problem“ mal nicht auf?
Ein ganz allgemeines Beispiel ist die Corona-Politik, wie sie in Deutschland gelaufen ist. Wie schnell schossen die unterschiedlichsten Pro- und Contra-Meinungen wie Pilze aus dem Boden? Von den Verschwörungstheorien will ich gar nicht erst anfangen. Gerade am Anfang kam es mir vor, als wäre die ganze Welt im Panik-Modus. Die Politiker haben irgendwelche Entscheidungen getroffen, weil sie nicht anders konnten. Natürlich haben sie dabei auf ihre Berater vertraut. Waren die Entscheidungen immer richtig? Im Nachgang betrachtet vermutlich nicht, aber zu diesem Zeitpunkt war es – auf Basis ihrer Erfahrungen und Erkenntnisse – das Bestmögliche, das sie tun konnten.
Genauso verhält es sich mit meiner Haltung gegenüber meinen Klientinnen und Klienten. Vor allem im Umfeld mit Kindern und Jugendlichen fällt mir auf, dass sie schnell für ihr Verhalten verurteilt werden. Weil es unpassend ist, weil es es sich nicht schickt, weil die Regeln der Gesellschaft etwas anderes verlangt.
Mir stellt sich dann immer die Frage: „Warum verhält sich die Person so wie sie sich verhält? Warum wählt es diese Strategie, um etwas zu bewirken? Welche Interessen und Bedürfnisse stehen eigentlich dahinter?“. Ich gehe immer davon aus, dass ein Verhalten einen bestimmten Zweck erfüllt – nicht unbedingt immer bewusst. Ziel meiner Beratungen und Coachings ist es, mit meinen Klientinnen und Klienten andere Strategien zu entwickeln, um den selben Zweck, die selben Bedürfnisse zu erfüllen.
Statt ungefragter Ratschläge: Warum ich lieber Fragen stelle
Wer zu mir in die Beratung kommt, wird vielleicht überrascht sein, dass ich in der Regel keine Antworten parat habe. Stattdessen stelle ich Fragen. Viele Fragen. Möglicherweise ungewöhnliche Fragen.
Ich ermögliche meinen Klientinnen und Klienten damit neue Sichtweisen. Gemeinsam setzen wir einen anderen Denkprozess in Gange. Oft bin ich überrascht, welche Erkenntnisse und Aha-Momente dadurch entstehen. Auch ich lerne dabei oft dazu, denn jeder Mensch hat bereits viele Strategien, um sein Leben zu bestreiten. Manchmal muss man die Kompass-Nadel nur ein bis zwei Grad in eine andere Richtung ausrichten.
Ziel ist es also, dass die Lösung für eine Herausforderung bzw. die neue Herangehensweise an ein Problem, von den Klientinnen und Klienten selbst kommt. Sie muss passen zum jeweiligen Kontext, sie muss umsetzbar sein. Nur weil meine Strategie für mich funktioniert, heißt es noch lange nicht, dass diese für jemand anderes passt.
Diese Haltung lässt sich übrigens auch bestens in den Alltag integrieren: Beim Small Talk, in Konflikten, als Eltern, in der Partnerschaft – einfach überall, wo wir mit Menschen in Kontakt stehen.
Daher mein Vorschlag: Halten wir uns mit vorschneller Wertung und gut gemeinten Ratschlägen zurück!
Ich möchte heute hier mit einem Zitat von Steve de Shazer schließen:
Die Realität ist, dass es keine objektive Realität gibt, sondern nur individuelle Wahrnehmungen und Interpretationen.
Steve de Shazer
7 Antworten auf „“Du musst einfach nur..!” – Warum mich ungefragter Rat und vorschnelle Wertungen tierisch nerven“
Hallo Danielle,
du hast so Recht! Auch ich kenne das, muss zu meiner Schande aber im Gegenzug gestehen, selbst nicht frei davon zu sein, mit Ratschlägen anzukommen.
Danke daher, dass du deine Sicht der Dinge sehr nachvollziehbar beschrieben hast und die Lösung direkt mit lieferst: Fragen stellen statt Ratschläge zu verteilen.
Ich gelobe Besserung!
Liebe Grüße
Gabi
Hallo liebe Gabi,
vielleicht hast du ja sogar fantastische Ratschläge. Die Frage dabei ist, wie du diese verteilst. Es ist ja zum Beispiel auch denkbar, das einzuleiten mit „Darf ich dir einen Rat geben..“ oder „Ich hätte eine Idee – willst du sie hören?“ oder „Was hältst du davon, wenn…“. Dann würde ich zumindest das keineswegs mehr als übergriffig empfinden.
Liebe Grüße
Danielle
Steve de Shazer hat so recht und du auch. Finde ich. Gerade bei den Themen Corona, als plötzlich so viele ALLES besser wussten, oder jetzt im Ukraine-Krieg oder bei der letzten Fußball-WM … überall sprießen sie aus dem Boden, die selbsternannten Fachleute für nahezu jede Lebenssituation, die dann aber auch gleich eine unumstößliche Lösung präsentieren.
Am besten sind hier die lokalen Facebook-Gruppen, da kann mit einem Satz, einer Frage oder einem Statement glatt einen Bürgerkrieg auslösen … In den sozialen Medien ist diese Unart übrigens nochmal ausgeprägter als im richtigen Leben, oder?
Gut, dass du es nochmal angesprochen hast. Werd mich auch mal an die eigene Nase fassen 😉
Liebe Grüße!
Liebe Ulrike,
vermutlich gibt es sehr sehr viele Beispiele. Auch ich mache mich nicht frei davon, dass ich auch mal wertend unterwegs bin.
Eine eigene Meinung darf und soll man ja auch haben und vertreten, aber eben diese nicht jemandem ungefragt überstülpen oder missionarisch aufdrücken.
Liebe Grüße
Danielle
Liebe Danielle,
es ist frustrierend, gut gemeinte Ratschläge auszuteilen, ohne die genauen Hintergründe zu verstehen. Als Life Coach teile ich deine Ansicht daher voll und ganz. 🙅♀️
Es ist die Magie ✨, die in der Arbeit als Coach steckt, die Meinung anderer Menschen zu respektieren und ihre individuellen Situationen genau auszuleuchten. Anstatt sofort mit vorgefertigten Lösungen zu kommen, öffnen wir Räume für tiefergehende Betrachtungen. Das ist wirklich kraftvoll und unterstützend. 💪🤝
Weiterhin viel Erfolg mit deiner Arbeit und den wertvollen Beiträgen, die du teilst!
Liebe Grüße,
Luisa Riffel
Liebe Luisa,
danke für deinen wertschätzenden Kommentar! Ja, den Raum für Möglichkeiten öffnen- das ist genau das, was ich für meine Ratsuchenden erreichen möchte 🙌
Liebe Grüße
Danielle
Liebe Danielle,
ein richtig guter Artikel! Genau so sehe ich es auch. Jedem muss selbst auch eingestanden werden, dass er Experte für sich selbst ist und selbst über sein Leben entscheiden kann. Toll, wie du Stellung beziehst!
Liebe Grüße
Jenny